Heute ist Uta zu Gast bei mir. Sie ist Journalistin, Eltern-Trainerin und Mutter. „Glückliches Familienleben im Selbstversuch“ – darum geht es auf ihrem Blog „Wer ist eigentlich dran mit Katzenklo“ – sympathisch, witzig und pädagogisch wertvoll!

Zu ihrem Beitrag hat mir Uta folgende Zeilen geschrieben:

Liebe Sonja, als mir eine Freundin vor eineinhalb Jahren den Link zu Deinem Blog schickte, war ich gleich begeistert. „Wertvoll“ – was für ein schöner Name. Und ich dachte: „Noch jemand, der sich so viel über
das ‚gute Leben’ Gedanken macht, wie du selbst.“ Als Du Dein zweites Mädchen verloren hast, war ich tief beeindruckt, wie Du auf Deinem Blog mit diesem Verlust umgegangen bist. Dass ich mit Dir Höhen und Tiefen erleben darf und Du voller Achtsamkeit über Lebensfragen schreibst, das macht mir „wertvoll“ so wertvoll.
Herzliche Glückwünsche zum Blog-Geburtstag und vielen Dank, dass ich Dir einen Jubiläumsbeitrag senden darf. Uta

 

Familiärer Führungskräfte-Mangel

 

Mein Mann war neulich in einem Schuhladen und erlebte mit, wie Mutter und Oma mit einem knapp dreijährigen Mädchen Schuhe kauften. „Mäuschen, magst du die Blauen lieber mit der Schleife oder die Braunen mit den Strasssteinchen?“ –„Guck mal hier, Mäuschen, die gibt es auch noch mit Klettverschluss.“ – „Nein, jetzt komm mal weg von dem Karussell. Du darfst dir die schönsten Schuhe aussuchen. Oma will sie dir schenken.“

Mein Mann war ganz fertig von seinem Besuch im Schuhladen. „Die haben das Kind total überfordert.“

Es war ja gut gemeint. Oma wollte dem kleinen Mädchen eine Freude machen. Mama wollte vielleicht ihrer Mama eine Freude mit der Freude des Kindes machen. Kind wollte aber keine Schuh-Freude, sondern eine
Karussell-Freude, wollte auf die kleine Bank klettern, mit beiden Händen die Stange in der Mitte greifen und sich damit in Schwung bringen.

Das erlebe ich häufig, dass Eltern meinen, sie müssten langwierige Konsum-Debatten mit ihren Kleinst-Kindern führen. „Leon, mein Engel, möchtest du eine Laugenbrezel oder lieber ein Milchbrötchen?
Möchtest du die Brezel lieber mit Salz oder mit Sesam? Soll dir die Frau die Brezel aufschneiden und Butter darauf schmieren?“ Hinter Frau und Buggy eine immer länger werdende Schlange. Füße werden
gescharrt, Augen verdreht.

Ich war ja auch so.

Die persönliche Integrität meines Kindes, so ein zartes Pflänzchen, sollte sich frei entwickeln dürfen. So ließ ich Kronprinz (heute 16) auf jedes Mäuerchen klettern (was ich heute wieder machen würde) und ich führte öffentlich Milchbrötchen-Laugenstangen-Sesam-Debatten (was ich heute nicht mehr machen würde).

Heute weiß ich, dass man zwar kleine Kinder nicht herumkommandieren sollte, aber dass Eltern bereit sein müssen, sie zu führen. Diese Verantwortung habe ich häufig nicht übernommen. Und dieser
Führungskräftemangel in der Familie führt zu Stress für alle Beteiligten.

Dazu braucht es aber nicht nur die Entscheidung: „Ja, ich bin hier die Chefin“, sondern auch ein Gespür für den Entwicklungsstand des Kindes. In welchem Alter kann es schon selber entscheiden und in
welchem nicht?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Leichter geschrieben als getan.

Der dänische Familien-Therapeut Jesper Juul nennt „drei Lebensbereiche, in denen Kinder von Anfang an persönliche Verantwortung übernehmen können:

Die Sinne:

  • was gut und was nicht gut schmeckt
  • was angenehm und weniger angenehm riecht
  • was sich kalt oder warm anfühlt

Die Gefühle:

  • Freude, Liebe, Freundschaft, Zorn, Frustration, Trauer, Schmerz, Lust

Die Bedürfnisse:

  • Hunger, Durst, Schlaf, Nähe, Distanz“

(aus: Jesper Juul: Dein kompetentes Kind, Reinbek bei Hamburg 2010, Seite 152)

Ja, und was ist dann mit den Kindern im Schuhladen und in der Bäckerei?

Beim Bäcker fragen, welches Brötchen das Kind möchte, aber nicht zu viel Zauber machen um Sesam oder Nicht-Sesam.

Im Schuhladen müssen die Erwachsenen entscheiden. Das kleine Mädchen weiß nichts über Fußbett oder Preisleistungsverhältnisse. Es braucht die klare Ansage, dass es einmal kurz anprobieren muss und
dann noch auf das Karussell darf.

Immer fröhlich als Eltern eine Führungskraft sein
Uta