„Vereinbarkeit“ ist ein großes Wort. Jede Familie hat Schwierigkeiten, aber auch eine eigene Herangehensweise und individuelle Lösungen, von denen andere profitieren können. Mein Wunsch ist es, dass es einen besseren Austausch und mehr Offenheit beim Thema Vereinbarkeit gibt und es nicht jede Familie „irgendwie für sich hin bekommen“ muss.
Deshalb werde ich hier immer mal wieder andere Mütter zu Wort kommen und von ihren Erfahrungen berichten lassen. Heute hat Johanna meine Fragen beantwortet. Sie ist verheiratet, Mutter von einem Sohn (9) und einer Tochter (7) und arbeitet im Marketing eines großen Unternehmens.
Johanna, wie hast du dich in deine Mutterrolle eingefunden?
Das kam, Gott sein Dank, fast automatisch. In der ersten Nacht nach dem positiven Schwangerschaftstest lag ich noch lange wach und habe überlegt, was das jetzt für mich und mein Leben bedeutet. Und dann war es einfach so.
Aber ich muss zugeben, dass ich das Muttersein nicht einfach so auf mich zukommen lassen konnte. Ich habe mich darauf vorbereitet, einige Vorbereitungskurse mitgemacht und Bücher gelesen. Hey, das war ein neues Projekt für mich und von dem Thema hatte ich keine Ahnung. Ich bin jemand der gern selbst den Überblick hat und Informationen sucht. Mir hat das geholfen, mich besser und sicherer zu fühlen, vor allem, weil man später viele „ungewollte“ Ratschläge bekommt. Die konnte ich dann mit dem aktuelleren Wissen einfach an mir abperlen lassen. Außerdem konnte ich mich und mein eigenes Verhalten dadurch besser verstehen und wußte, dass bestimmte Dinge und Veränderungen normal sind. Auch nach der Geburt habe ich mich schnell wieder mit anderen Müttern in der gleichen Situation in einer Babygruppe zusammengetan. Das hat mir bei all den Fragen und Unsicherheiten geholfen. Das war auch ein Ort, wo alle immer und gern über ihre Kinder geredet haben. Während ich mich im Teil meines Freundeskreis ohne Kinder ein bisschen zurückgehalten habe. Den Rest haben die Hormone übernommen, die aus mir die Löwenmutter gemacht haben, die die ersten Nächte durchstehen konnte…
Auch habe ich versucht das Beste aus der Veränderung zu machen, es zu genießen zu Hause zu sein. Ich habe die erste, intensive Zeit mit den Kindern erlebt, bin viel spazieren gegangen, am Tag durch die Stadt gebummelt,…
Wie hat sich euer Leben als Familie verändert? Wie stellt ihr sicher, dass es allen gut geht?
Unser Leben hat sich sehr verändert. Aber das war okay so. Ich hatte vorher das Leben gelebt, wo ich auf niemanden groß Rücksicht nehmen oder irgendwas verzichten musste. Nun war eine „neue Zeit angebrochen“. Ich wusste, als wir uns für eine Kind entschieden hatten, dass dies dann auch die Entscheidung für das Komplettpaket ist. Mit allem drum und dran, was das Elternsein beinhaltet. Dadurch hatte ich nicht das Gefühl auf etwas verzichten zu müssen.
Als kleine Familie werden plötzlich ganz andere Dinge wichtiger: gemeinsam verbrachte Zeit, das Wochenende, Uhrzeiten wann der Partner nach Hause kommt, gemeinsam geteilte Last. Das hat bei uns aber direkt gut funktioniert. Klar, bei meinem Mann war das Bedürfnis nach Familie und Gemeinsamkeit nicht ganz so stark ausgeprägt. Er hat sich viel verabredet und wollte auch mir diesen Freiraum lassen. Aber ich hatte das Bedürfnisse zunächst gar nicht.
Unser Leben wurde durch unser Kind strukturiert. Es gab feste Abläufe, an denen wir auch festgehalten haben, weil wir gemerkt haben, dass es so für uns als Familie auf lange Sicht bessert funktioniert. Und aus den oben schon genannten Gründen war es für uns auch okay, unser Leben nun um Mittagsschlag oder der Zubettgehzeit herum zu organisieren. Das war unsere Lebensphase mit kleinem Kind.
Wichtig war uns trotzdem Zeit zu Zweit: Die Zeit von 20-22 Uhr gehörte nur uns. Das Reden war sehr wichtig, um uns als Familie neu zu sortieren, denn es war nicht immer alles einfach. Mein Mann war z.B. den ganzen Tag im Büro und unser Sohn war Abends sehr anstrengend, hat viel und stundenlang geweint und wir haben ihn abwechselnd rumgetragen. Die Lösung war bei uns die Babymassage und ein anschließendes Bad. Oder die „Phase“ war dann einfach vorbei.
Mein Mann hätte es gerne gehabt, wenn wir den Kleine immer abwechselnd ins Bett gebracht hätten. Mir war es aber wichtig, dass er das Abendritual übernahm, um eine Beziehung zu dem Kleinen aufzubauen, denn er war den ganzen Tag nicht da. Das hat er verstanden und ich hatte dadurch auch etwas Luft für andere Dinge.
Ansonsten haben wir uns für die klassische Aufteilung entschieden. Ich war zu Hause, mein Mann hat gearbeitet. Darüber waren wir uns einig. Er hat gearbeitet und ich bin nachts aufgestanden, habe den Einkauf gemacht und den Hausputz. Ich habe aber auch versucht unter der Woche z.B den Einkauf zu erledigen, so dass wir dann am Wochenende Zeit für uns als Familie hatten. Das hat sich dann wieder geändert, als ich auch wieder angefangen habe zu arbeiten.
Wie sieht dein Alltag aus? Arbeitest du wieder und wenn ja, wie schaffst du das?
Heute sind meine Kinder schon fast 10 und 7 Jahre als und ich kann nur allen sagen, „die Belastung“ nimmt ab, wir haben mehr Freiräume, die Kinder beschäftigen sich selbst, haben Termine und es bleibt mehr Luft für einen selbst. Ja, ich arbeite wieder, ich bin nach den Kindern jeweils 14 bzw. 12 Monate zu Hause geblieben. Und ich habe gleich wieder recht viel gearbeitet (75%). Es war mir wichtig wieder zu arbeiten.
Es ist vor allem eine Frage der Organisation. Wir frühstücken morgens immer alle gemeinsam. Mein Mann versorgt die Kids bis sie aus dem Haus zur Schule gehen, bzw. hat sie bis vor kurzem noch in den Kindergarten gebracht. Das verschafft mir die Luft morgens recht früh im Büro anzufangen und dafür dann Nachmittags gegen 15 Uhr wieder zu Hause zu sein. Ich habe meinen Kalender im Handy, ohne den ich aufgeschmissen wäre und der sich mit dem Kalender meines Mannes synchronisiert, so dass wir beide immer den Überblick haben. Alles läuft gut, solange nichts Unvorhergesehenes dazwischen kommt.
Mir ist arbeiten wichtig, auch wenn ich da natürlich auch Höhen und Tiefen erlebe und mich auch manchmal frage, warum tue ich mir den Stress überhaupt an. Aber unterm Strich gibt mir das sehr viel. Da bin ich dann wieder ich, die Person, die studiert hat, einen interessanten Job hat und nicht nur die Mutter die den Kindern hinterher räumt. Das schafft mir den Ausgleich. Das hilft mir auch, Dinge zu relativieren. Auf der Arbeit sind Dinge plötzlich nicht mehr so wichtig wie sie es früher waren. Ich habe einfach keine Zeit mehr, mich in Dinge „reinzusteigern“, sondern sehe sie eher pragmatisch und lösungsorientiert.
Ein paar Beispiel: Ich suche nicht die Grundschule, die 20 km in der nächsten Stadt ist, sondern die, die fußläufig zu erreichen ist. Kann sein, dass das pädagogische Konzept der entfernteren Schule besser ist, aber das würde unser Leben „einfach sprengen“. Das gleiche gilt für Sportangebote, auch wenn ich Hokey total cool finde, aber dann immer die Kids mit dem Auto dort hinfahren müsste, kommt das dann einfach nicht in Betracht. Ich glaube trotzdem nicht, dass meinen Kindern dadurch etwas entgeht. Aber, wenn meine Kinder irgendwelchen speziellen Bedarf hätten, würde ich natürlich solchen Aufwand dann doch auf mich nehmen. Hier müssen wir abwägen und entsprechend entscheiden.
Es ist nicht einfach Familie und Beruf zu vereinen und ich glaube, dass fast immer die Frau irgendwo Abstriche macht. Bei sich. Aber man kann es schaffen. Wichtig ist, auch seine eigenen Ansprüche zu relativieren. Es müssen nicht immer 150% sein, sondern es reichen auch 85%.
Was sind deine Tipps zur „Vereinbarkeit“?
Wichtig sind klare Aufgabenteilung, klare Regeln. Wir haben den gemeinsamen Kalender. Mein Mann hat mich früher immer angerufen oder einfach Termine gemacht, die dann nicht funktioniert haben.
Wichtig ist, die Ansprüche an sich selbst runterzuschrauben, ohne das Gefühl zu haben, es schlecht zu machen. 150% sind einfach zu viel. Wenn möglich sollte man auch Hilfe in Anspruch nehmen, ob beim Putzen oder der Kinderbetreuung. Das Geld, was man da ausgibt zahlt sich doppelt und dreifach auf den Famileinfrieden und das Familienleben aus.
Man muss sich auch davon frei machen, dass man, nur weil man arbeitet und die Kinder nachmittags in der Betreung hat, automatisch eine schlechte Mutter ist. Die Anregungen und Aktivitäten, die dort geboten werden, kann ich ihnen zu Hause nicht geben und auch nicht jeden Mittag ein ausgewogenes Essen kochen.
Ich glaube, wer beruflich ausgefüllt ist, kann sich dann auch zu Hause wieder voll auf das Familienleben einlassen.
P.S.: Möchtest du über deine Geschichte berichten? Wie lebst du „Vereinbarkeit“? Schick mir gerne eine Nachricht! Alle Interviews kannst du hier nachlesen.