Ich habe vor den Kindern immer auf Vollzeit-Stellen gearbeitet. Auch wenn ich gerne und motiviert gearbeitet habe, muss ich sagen, dass es (gerade am frühen Nachmittag) Zeiten gegeben hat, in denen die Luft raus war, ich den nächsten Kaffee getrunken und in die Luft geschaut und mich gefragt habe, wie ich bei 8-Stunden-Tagen Arztbesuche, Anrufe bei Versicherungen, o.ä. unterbringen soll. Aktuell arbeite ich in einem 60%-Angestelltenverhältnis. Ich habe hierbei nicht das Gefühl weniger zu leisten als vorher, vielmehr arbeite ich meistens konzentrierter und fokussierter. Zwar habe ich danach die Kinderbetreuung zu stemmen, bekomme aber trotzdem mehr Termine unter einen Hut. Wenn ich mir diese Situation anschaue, kommen mir verschiedene Fragen:
Warum wird Arbeitsleistung mit Arbeitszeit gleichgesetzt?
Kann man sich nach 6 Stunden Arbeit wirklich noch konzentrieren und vor allem gut und kreativ arbeiten? Was ist, wenn ich meine Arbeit schneller erledige (als andere / als mir Zeit dafür zur Verfügung steht), weil ich einfach schnell und konzentriert arbeiten kann?
Mit diesen Fragen einher geht auch das Thema Flexibilität bei den Arbeitszeiten und die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten. Das ist nicht in allen Berufen in gleicher Weise umsetzbar, aber ich habe oft den Eindruck, dass dies einfach aus Prinzip nicht umgesetzt wird – vermeintliche Kontrolle geht verloren und es herrscht die Angst vor, dass zu Hause nicht gearbeitet wird. Meine Erfahrung ist, dass Mitarbeiter, die (wenn es die Arbeiten zulassen) flexibel und selbstbestimmt arbeiten können und die Arbeit mit dem (Familien- / Privat-) Leben vereinbaren können, sehr viel motivierter und zielorientierter arbeiten.
Passend zu diesem Thema durfte ich das Buch „Die 5 Stunden Revolution – Wer Erfolg will, muss Arbeit neu denken*“ von Lasse Rheingans lesen. Der Geschäftsführer eines Unternehmens in Bielefeld hat den 5-Stunden-Tag ausprobiert und darüber geschrieben.
„Die Gleichung Anwesenheit = Leistung ist tief in unseren Köpfen verankert. Was nicht weiter schlimm wäre, würde sie denn heute noch stimmen. Aber das tut sie eben nicht. […] Am Arbeitsplatz zu sein und seine Arbeit zu tun sind zwei verschiedene Dinge. […] Erst die Digitalisierung bietet die Chance, dass die Arbeitsleistung wieder zum Ausgangs- und Angelpunkt der Vergütung wird. […] Wenn wir nichts ändern, verheizen wir unser Kreativpotential.“ Herr Rheingans beschreibt in seinem Buch sehr offen, wie er auf die Idee kam, die Arbeitszeit in seinem Unternehmen zu verändern, welche Fehler er gemacht, welche Gefahren und Fallstricke es aus seiner Sicht gibt und welche Gelingfaktoren es gibt bzw. Möglichkeiten sich ergeben können. Wichtig sind aus seiner Erfahrung u.a. die folgenden Punkte:
- Alle Mitarbeiter müssen mit „ins Boot“ geholt werden, freiwillig mitmachen und sich mit der Idee identifizieren können. Alle müssen sich darauf verständigen, dass (mindestens) die gleiche Leistung wie vorher in kürzerer Zeit erledigt werden muss.
- Alle Ablenkungen und Zeitfresser werden identifiziert und (freiwillg) abgeschafft.
- Es muss für alle klar sein, wer für was zuständig und verantwortlich ist.
- Bisherige Arbeitsweisen müssen überprüft werde.
- Meetings brauchen eine vorher erstellte Agenda.
- Für den sozialen Austausch müssen (freiwillige) Extra-Zeiten und -Räume geschaffen werden.
- Die verkürzte Arbeitszeit ist ein Experiment. Dies braucht eine Fehlerkultur und eine Kultur des gegenseitigen Zuhörens.
Dem Autor geht es aber nicht nur darum, die Arbeitszeit bei gleicher Leistung zu verkürzen, um die Zufriedenheit der Mitarbeiter zu stärken, sondern es geht ihm darum, eine grundsätzlich neue Arbeitskultur zu schaffen, die für die heutige Zeit, die neue Generation und die zunehmende Digitalisierung passend ist. Hierfür müssen sich (auch) Arbeitgeber und Vorgesetzte verändern.
Für seine Pläne hat der Autor gründlich recherchiert, sich selbst wissenschaftlich begleiten lassen und beschreibt im Buch auch Beispiele aus anderen Ländern und beschreibt am Ende weitere Ideen, die er für die Arbeit der Zukunft hat. Das Buch ist zum einen spannend zu lesen, bietet aber auch viele Gedanken zum Weiterdenken und hilft hoffentlich dabei, dass sich Arbeitsbedingungen und die Sicht auf Arbeitsleistung in Zukunft verändern werden.
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